Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität.
Manchen Eltern sind diese Symptome mehr als bekannt. Man spricht hier von den Leitsymptomen der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Sie ist eine häufige Erkrankung im Kindes- und Jugendalter und betrifft vor allem die kognitiven Fähigkeiten, die gebraucht werden, um sein Verhalten zu kontrollieren und zu regulieren. Beeinträchtigungen äußern sich bspw. beim Planen von Aktivitäten, beim Fällen von Entscheidungen, Feedback verwerten, gegen die Gewohnheit handeln sowie in einer Einschränkung des Arbeitsgedächtnisses und der mentalen Flexibilität. Außerdem zeigen sich häufig gravierende Defizite im Bereich der motorischen Fähigkeiten (Hutterer, 2024; Ziereis).
Während manche Betroffene kaum etwas davon merken, kämpfen Andere mit starken Beeinträchtigungen in der Schule und in ihrem sozialen Umfeld. Für diese Kinder und Jugendlichen ist eine zielgerichtete Behandlung wichtig.
„Ich habe mich ein Leben lang dafür verurteilt, dass ich viele Sachen, die andere super hinkriegen, überhaupt nicht hinkriege.“
-Angelina Köhler (23), Weltmeisterin und Vierte der Olympischen Spiele 2024 über 100 m Schmetterling
Die junge Deutsche bekam ihre ADHS-Diagnose erst vor eineinhalb Jahren, noch zu Beginn ihrer Profikarriere. Sie berichtet über Mobbing in ihrer Jugend. Das ist nichts Ungewöhnliches. Kinder und Jugendliche, die sich anders verhalten, als es in der Gruppe üblich ist, werden häufig ausgeschlossen oder gemieden. Wenn das als Problem erkannt und eine Diagnose gestellt wird, kann dagegen vorgegangen und eine Therapie entwickelt werden (Hutterer, 2024).
Sport verbessert kognitive & motorische Fähigkeiten
In den letzten Jahren wurde in einigen Studien untersucht, ob Sport und körperliche Aktivität die Symptome von ADHS verbessern können. Es zeigte sich, dass die Sportart oder Art der Bewegung dabei keine Rolle zu spielen scheint: Positive Effekte konnten durch verschiedenste Bewegungsarten erzielt werden!
Es wurden Verbesserungen auf neurophysiologischer Ebene aufgezeigt: Die Impulsivität und Aggressivität der Kinder nahmen ab, während sie gleichzeitig aufmerksamer wurden, sich Dinge besser merken und sich eher konzentrieren konnten und schlussendlich die schulische Leistung stieg. Auch motorische Veränderungen waren messbar: Bessere Koordination, mehr Ausdauer und mehr Kraft.
Ein Ausbau der sozialen Fertigkeiten durch Sport war ebenso bemerkbar. Der Umgang mit anderen Menschen verbesserte sich, die Kinder waren weniger ängstlich, weniger depressiv und zeigten insgesamt weniger soziale Probleme (Hutterer, 2024).
Kurz, intensiv und im Grünen
In einer von Hutterer beschriebenen Untersuchung konnten Sportwissenschaftler der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf feststellen, dass Hochintensives Intervalltraining (HIIT) sich besonders auf den Selbstwert, die Beziehungen zu Freunden, das Kompetenzgefühl und das subjektive Empfinden von Aufmerksamkeit positiv auswirkt. Für Kinder sind kurze, hochintensive Belastungen eine natürlich und spaßige Art der Bewegung, während HIIT für Erwachsene eher Überwindung erfordert.
„Unsere Untersuchung zeigte, dass HIIT von Kindern mit ADHS gut toleriert wird. Bei einer Herzfrequenz von 95 Prozent der maximalen Herzfrequenz und einem Wechsel von vier Minuten Belastung und vier Minuten Regeneration stellten sich die Effekte ein.“
- Prof. Dr. Friederike Meßler, Sportwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Bewegungs- und Gesundheitsförderung in der Kindheit, Fliedner Fachhochschule Düsseldorf
Weitere internationale Untersuchungen zum HIIT deuten in eine ähnliche Richtung.
Beim Vergleich zwischen Indoor- und Outdoor-Sportaktivitäten bewerteten Kinder und Eltern die Lebensqualität nach dem Outdoorprogramm am höchsten. Hierbei wurde 2x wöchentlich ein moderat intensives Training von 90 Minuten absolviert. Nebenbei konnte ein Anstieg weiterer Freizeitaktivitäten im Untersuchungsverlauf (ein Jahr) festgestellt werden. Den Forschern zufolge könnte dies ebenso auf eine verbesserte soziale Kompetenz hinweisen (Hutterer, 2024).
Integration in den Alltag
Für Kinder mit ausgeprägter ADHS-Symptomatik braucht es oft qualifizierte Betreuer, um den Kindern bei ihrer Emotionskontrolle und Frustrationstoleranz zu helfen. Im Vereins- oder Schulsport kann dies nur bedingt gegeben sein.
„Mein Wunsch wären Sportgruppen für psychisch beeinträchtigte oder auffällige Kinder und Jugendliche. Denn dort fühlen sie sich häufig gut aufgehoben, weil sie wissen, dass jedes Kind aus einem bestimmten Grund dabei ist und sie ausnahmsweise mal nichts Besonderes sind“
- Prof. Dr. Friederike Meßler
Manche werden es kennen: Herzsport- oder Sportgruppen speziell für Menschen mit Adipositas. Aufgrund unzureichender Evidenz sind solche zielgerichteten Angebote für Kinder mit ADHS noch kein Standard. Hutterer empfiehlt, Sport als Therapieelement in die ADHS-S3-Leitlinie aufzunehmen.
Die Integration verschiedener Sport- und Bewegungsformen in den Alltag kann zu einer Verbesserung der Haupt- und Begleiterscheinungen einer ADHS-Erkrankung im Kindesalter beitragen. Es wird daher empfohlen, dass Eltern bereits frühzeitig damit beginnen, Sport regelmäßig in den Alltag ihrer Kinder zu integrieren.
Wichtige Tipps für die Umsetzung:
Klein anfangen und langsam steigern
Regelmäßigkeit ist (für den Start) wichtiger als Intensität
Sport sollte Spaß machen, kein Zwang sein
Erfolge loben und positiv verstärken
Folgende Anregungen haben wir für Euch zusammengestellt, die natürlich auch bei Kindern ohne ADHS umgesetzt werden dürfen:
Morgenroutine
5-10 Minuten Bewegungsspiele vor der Schule
Schulweg wenn möglich zu Fuß oder mit dem Fahrrad
Kleine "Bewegungspausen" beim Anziehen (z.B. Hampelmänner)
In der Schule
Mit Lehrern absprechen, ob kurze Bewegungspausen möglich sind
Motivieren, in den Pausen aktiv zu spielen
Teilnahme an Sport-AGs
Nachmittags
Hausaufgaben in Blöcken mit Bewegungspausen
Regelmäßiges Training in einem Sportverein
Aktive Freizeitgestaltung im Freien
Weiterführende Informationen zur Thematik ADHS und Sport gibt es z. B. hier: https://www.adhs-deutschland.de/adhs/hobby-und-bewegung
Quellen
Hutterer, C. (2024): Die Bedeutung von Sport für Kinder und Jugendliche mit ADHS. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. Online verfügbar unter https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/bedeutung-sport-kinder-jugendliche-adhs-therapieoptionen/?fbclid=IwY2xjawGG4mhleHRuA2FlbQIxMAABHbeqWOKkjv8qJbi0Hko2AIooB7KrmD1hBBUd2r62fo8ex5NMUFjf8SSVAg_aem_kpPleSxoMpPD2UXM_ROhDQ, zuletzt geprüft am 09.11.2024.
Ziereis S.: Sport verbessert kognitive Fähigkeiten von Kindern mit ADHS. Einsatz in der Therapie möglich. In: ADHS Deutschland e. V. Online verfügbar unter https://www.adhs-deutschland.de/adhs-hobby-und-bewegung/sport-verbessert-kognitive-faehigkeiten-von-kindern-mit-adhs, zuletzt geprüft am 10.11.2024.
Autor: Jan Reimann
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